Ein alter römischer Heerweg

Die Via Claudia Augusta ist ein alter römischer Heerweg über die Alpen.

Mein ziemlich durchtrainierter Freund Tilmann erzählte mir von seinen Plänen, diese Römerstraße über das mächtige Gebirge mit dem Fahrrad abzufahren. Tilmann ist Arzt i.R. und gehört übrigens zu den Wahnsinnigen, die täglich vorm Frühstück erstmal zwei Kilometer in der kalten Ostsee schwimmen gehen. Ein absolutes Vorbild in Fitness.

Und wie er mir mit Begeisterung von der 550 km langen Strecke erzählte, regte sich in mir Unruhe…. das Erwachen eines Wunsches.

Der Gesichtsausdruck meines Mannes war unbezahlbar, als ich zu ihm sagte „Du Schatz, ich glaube, ich möchte mit dem Rad über die Alpen fahren.“

Seine völlig ungläubige, dafür pragmatische Antwort war: „Du hast doch nicht mal ein Fahrrad!“

Ich erwiderte ziemlich entschlossen: „Stimmt! Aber ich habe bald Geburtstag….“

Rate mal, was mein Geschenk ein paar Wochen später war 😉

Gewohnheiten werden aus vielen kleinen Entscheidungen getroffen.

Wie lernt man eine neue Gewohnheit oder trainiert sich eine ungewünschte ab? Indem man eine kleine Entscheidung trifft, etwas zu ändern.

Du musst jetzt eins wissen: Als ich diese Entscheidung traf, war ich ein absoluter Sport-Legastheniker. Ein passionierter Nicht-Sportler ohne jeglichen Bewegungsdrang. „Sport“ kam für mich nur alle paar Jahre im Rahmen von guten Neujahrsvorsätzen in den Kopf.
Darum war mein Mann auch so erstaunt. Dieser Wunsch war absolut das Untypischste, was man sich „von mir“ vorstellen konnte. Aber die Herausforderung ließ mich nicht los.

Mein Liebster akzeptierte es nicht nur – er trainierte mit mir. Über ein Jahr, jeden Hügel, den Ostholstein hergab. Mit hängender Zunge bezwangen wir gemeinsam den Bungsberg – Schleswig-Holsteins höchste Erhebung mit beängstigenden 167,4 Metern Höhe.
Von Füssen nach Venedig sollte es gehen. 537 km Stecke. Dazwischen der Fern-Pass, der Reschen-Pass und tausende von Höhenmetern.

Und schließlich standen wir mit unseren Mountain-Bikes am Fuße der Alpen in Reutte. Groß und mächtig schienen sie mich anzugrinsen „Naaaaa? Warst du da nicht vielleicht doch ein bisschen zu mutig…?“
Das Motto unserer kleinen Trainingsgruppe zuhause wurde für die kommende Tage zu meinem Mantra: Einfach weiter treten. Los ging’s!

Und ich hab’s geschafft.
Ein unglaubliches Gefühl bei Nauders den Gipfel zu erreichen und den „Kampf gegen mich selbst“ gewonnen zu haben.

Die wichtigsten Erkenntnisse und Erfahrungen hieraus waren jedoch eher unerwartet. Sie begleiten mich seitdem als „Transferleistung“ fast täglich in meinem beruflichen Alltag und erinnern mich symbolisch an das, was ich durch die Tour gelernt habe.

Mein Fazit:

1. Die echten Herausforderungen sind nicht unbedingt immer die augenscheinlichen.
Ich hatte so einen Respekt vor der Höhe und der Steigung, dass ich das „überhaupt da hochkommen“ für die größte Schwierigkeit hielt und mich darauf konzentrierte. Little did I know….
Ganz andere Dinge waren am Ende viel anspruchsvoller, als „nur da hochzukommen“. Gegenwind mit Regen. Unbefestigte Wege. Bergab fahren – um nur einige zu nennen.

2. Bloß nicht absteigen!
Gleich beim ersten fiesen Anstieg (8 – 12 % Steigung) machte ich einen echten Anfängerfehler: Ich stieg vom Rad.
Das passierte mir nur genau ein einziges Mal! Denn das Problem bei solchen Anstiegen ist: Sie sind so steil, dass man nicht mehr auf’s Fahrrad kommt.
Also war für die nächsten Tage mein Fokus: Immer oben bleiben, egal wie steil der Anstieg war.

3. Legt dir jemand einen Stein in den Weg, dann fahr einfach drüber.

…ein Stück der Original Via Claudia Augusta

Die Via Claudia Augusta ist wie erwähnt ein alter römischer Heerweg über die Alpen. Über weite Teile ist sie keine schön geteerte Straße…
Das grobe Geröll auf der Strecke ist äußerst tricky. Sowohl aufwärts wie auch besonders abwärts. Wenn man nicht höllisch aufpasst, dann kommt man ratzfatz bergab so richtig schön ins Schlittern.
Das hat oft für unerwartetes Herzklopfen gesorgt. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an den gerölligen Untergrund gewöhnt hatte.

4. Bergauf ist es anstrengend… aber es macht einfach mehr Spaß als bergab.
Tja. Steil bergab zu fahren ist nicht so meins. Vielleicht liegt es daran, dass ich bergab gefühlt nicht so viel Kontrolle über die Situation und die Fahrt habe. Bremsen: Macht mir keinen Spaß. Geschwindigkeit: Macht mich nicht an.
Das war reinste tief empfundene Selbsterkenntnis: Ich bin ein Control Freak… „Einfach mal loslassen lernen“ steht auf meiner To-Do-Liste.

5. Kleine Schritte sind nicht nur notwendig für Veränderungen – sie sind alles!
Was geblieben ist: Ich bin zwar immer noch kein passionierter Leistungssportler, aber auch kein Sport-Legastheniker mehr. Mittlerweile habe ich zumindest eine akzeptable Laufroutine von dreimal 5-10 km pro Woche in meinen Alltag eingebaut. „Bisschen fit“ ist besser als gar nicht 😉

6. Such dir ein großes Ziel und fang einfach an.
Irgendwo habe ich das Zitat gelesen: „Wenn deine Ziele dir keine Angst machen, dann sind sie nicht groß genug.“ Just enjoy the ride.

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